Vor kurzem haben wir das 25-jährige Bestehen meiner Ballettschule feierlich begangen, ein wunderbares Fest, mit dem mich meine Ballettschüler und ihre Familien überrascht haben.

Da ist ein Rückblick mehr als folgerichtig. Ja, wie fing es eigentlich an?
Die Eltern der Nachkriegsgeneration konnten ihren Kindern nicht viel bieten, umso mehr bin ich meiner Mutter dankbar, dass sie mir unter großem Verzicht meine künstlerische Förderung ermöglichte. Denn das, was ich in meiner Kindheit und Jugend gelernt habe, ist ein so stabiles Fundament, auf dem ich noch heute aufbauen kann. Reichtum und Schönheit sind vergänglich, Wissen und Können ist mit uns für immer eins.

Mein Leben lässt sich schnell in Zahlen fassen:
19 Jahre Schule und Ausbildung in Budapest, davon 12 Jahre als angehende Tänzerin, 7 Jahre Klavierunterricht, Rundfunkkinderchor und danach insgesamt 6 Jahre Gesangsunterricht.

16 Jahre professionelle Tänzerkarriere. Erstes Engagement 1966 in Rudolstadt, danach noch zwei Jahre in Provinztheatern. Immer unzufrieden mit der Qualität dort und dem Leben in der Kleinstadt, standen mir nach erfolgreichem Vortanzen drei Theater zur Auswahl. Ich entschied mich für die Hauptstadt und den Friedrichstadtpalast. Man sagte dort, die Neuen gingen spätestens nach der zweiten Spielzeit… oder blieben für immer. Keine von uns perfekt ausgebildeten klassischen Tänzerinnen hatte vorher Erfahrung im Showtanz, wir mussten bereit sein, viel Neues anzunehmen und viel dazuzulernen. Ich blieb und verbrachte dort 13 wunderbare Jahre. Während unsere Kollegen in der Staatsoper und in der Komischen Oper monatlich vier bis sechs Vorstellungen hatten, standen wir außer montags täglich auf der Bühne und hatten an den Wochenenden jeweils Doppelvorstellungen. Im Gegensatz zu heute liefen unsere Shows nur zwei Monate, so hatten wir pro Spielzeit durchschnittlich sechs Neuinszenierungen mit jeweils acht bis zehn Tänzen. In 13 Jahren sind das mindestens 650 getanzte Choreographien -vom klassischen Spitzentanz und Pas de deux bis zum berühmten Girltanz.

Zusätzlich gab es zahlreiche Sonderverpflichtungen, vom Palast der Republik bis zum Moskauer Kreml, Auslandsgastspiele und viele Film- und Fernsehproduktionen. Wie haben wir das bloß geschafft? Das Privatleben war nicht wichtig. Umso glücklicher bin ich, den Zeitpunkt für Mann und Kind nicht verpasst zu haben und bekam meine Zwillinge 1974. Der Druck war fast übermenschlich, ich wollte aber weitertanzen. Dann, 1982 der endgültige Abschied von der Bühne.

8 Jahre Mutter, Ehefrau, Gärtnerin, Köchin, was mir 3 Jahre gut getan hat. Aber jung, aktiv, und Arbeit gewöhnt, fühlte ich mich unwohl in meiner neuen Rolle und fing an, nebenbei Training zu erteilen. Ich wollte unbedingt zurück in den Ballettsaal. 1990 habe ich mich selbst befreit – ich gründete meine Ballettschule.

25 Jahre bin ich nun mittlerweile Ballettpädagogin, Choreografin, nahm am Anfang jede sich mir nur bietende Gelegenheit zur Weiterbildung wahr. Ich war sogar kurzzeitig im Fitnessbereich tätig, habe mich eingehend mit Anatomie beschäftigt und hatte und habe heute noch intensiven Kontakt zu meinen Pädagogen-Kollegen. Seit 1994 bin ich Mitglied im Deutschen Berufsverband für Tanzpädagogik, die beste Plattform um immer in allen Bereichen unseres Berufes aktuell zu sein.

Vom ersten Tag meiner Unterrichtstätigkeit an war es mein Ziel, Choreografien und Bühnenstücke zu schaffen. Ich weiß selbst sehr gut, was es heißt, auf einer Bühne zu stehen. Anspannung, Freude, Lampenfieber, Erfolg, Belohnung, Zweifel, Stolz, Freundschaften, verkleiden und schminken, die Scheinwerfer, der Bühnenzauber, eintauchen in eine fremde Welt. Das Training allein bietet nicht das Kennenlernen unterschiedlicher Tanzstile und erst recht nicht die Bandbreite der klassischen Musik.

Und so habe ich meinen Elevinnen unzählige Tänze auf den Leib choreografiert. In einem Schuljahr durchschnittlich 20 Tänze. Ich habe komplette Handlungsballette wie "Die Puppenfee", "Karneval der Tiere", "Dornröschen", "Das Tanzschloss", "Peter und der Wolf", oder "Der Nussknacker" geschaffen. Mit Musikschulen, Schauspieler -und Gesangskollegen gemeinsame Bühnenstücke wie „Lippels Traum“, „Hänsel und Gretel“, „Pit Pikus und die Möwe Leila“ inszeniert.

Gefragt sind wir mit unseren kleinen Künstlern auf allen möglichen Bühnen. Die repräsentativsten davon sind der Gendarmenmarkt und das Bundeskanzleramt. Alles das und alle andere Bühnenereignisse habe ich für uns und für Sie in der Chronik aufgelistet. Es lohnt sich, mal zu stöbern.

Meine ersten Schülerinnen von Beginn sind längst erwachsen, haben selber Kinder, die ich zum Teil auch wieder unterrichten darf. Aus unseren Reihen sind Filmschauspieler, Musical-Darsteller und Tänzer hervorgegangen. Aber auch jene, für die Ballett nur kurze Zeit ein Hobby war, haben die Jahre bei uns geprägt. Und wenn ich, wie neulich, auf der Straße angesprochen werde: „Frau Wolf? Sie waren die Ballettlehrerin meiner Tochter!“ und dann erfahre, dass dieses Mädchen 26 Jahre alt und Medizinstudentin ist, das Physikum hinter sich hat und Chirurgin werden will, bin ich durchaus stolz, ein wenig in ihrem Leben bewegt zu haben.

Ich betrachte mich als einen glücklichen Menschen, der noch heute den Beruf ausüben darf, der ihn erfüllt, und obendrein eine feste Familienbande mit drei Enkelkindern hat. So lange es meine Schaffenskraft zulässt, habe ich vor, diesen Weg genauso weiterzugehen.


Stand Februar 2016